Hier geht es um die Würde der Pflanze, die im Rahmen einer schweizer Ethikkommission erfasst und beurteilt werden soll. Die Vorgehensweise entspricht klassischer Anthropomorphisierung:
Sind Pflanzen eher den Robotern ähnlich oder eher den Tieren, die flexibel reagieren können? Der neueren Forschung zufolge stellen sich Pflanzen nicht nur auf Lichtveränderungen und Temperaturwechsel ein, sondern auf mindestens 17 Umweltvariablen, die sie quasi messen und mit internen Variablen verrechnen können.
Ich glaube, in dieser Antwort steht schon eine unbewiesene Grundannahme: Der erste Satz stellt noch die Frage nach Roboter/Tier, der zweite geht schon davon aus, dass die Pflanze "verrechnet", was eine Art Bewusstsein impliziert. Wenigstens fällt dass auch dem ZEIT-Interviewer auf:
Das spricht noch nicht gegen die Robotertheorie. Diese schlichten Umgangsformen dürften in den Genen liegen.
Als Antwort:
Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Pflanzen für verschiedene Insekten unterschiedliche Duftstoffe verwenden.
Nur, wieso ist dies ein Widerspruch? Frau Koechlin scheint unterschwellig sehr einer verkürzten Sicht auf die Möglichkeiten der Pflanzen aufgrund ihrer genetischen Austattung anzuhängen, die nur einfache Reaktionen zulässt, wenn nur ein genetischen Programm involviert ist. Dem ist aber nicht so, auch sehr komplexe Antworten sind "festverdrahtet" (Tinbergen, anyone?).
Auch hege ich den Verdacht, dass die Evolution nicht ganz verstanden wurde, wenn man sich folgende Stelle ansieht:
Und doch gibt es Indizien dafür, dass Pflanzen lernen können. Ein Beispiel ist ein wilder Tabak in der Great-Basin-Wüste in Utah, USA. Eigenartigerweise keimt er erst nach einem Flächenbrand. Das passiert manchmal nur alle hundert Jahre. Dieser Tabak muss ja neue Antworten auf neue Umweltbedingungen und neue Feinde finden, das heißt, er muss über ein großes Arsenal an flexiblen Möglichkeiten verfügen.
Was ist daran eigenartig? Wenn der Keim die Feuerbedingungen braucht und es keine Rolle spielt, wann, dann ist da keine Magie, kein Lernen dabei, dass er 100 Jahre überdauert. (Und ich wette, der Keimungserfolg ist nach 100 Jahren auch nicht mehr so toll). Die Pflanze hat das gelernt wie jedes andere Lebewesen auch, nämlich durch Versuch und Irrtum, mithin Evolution. Falls Frau Koechlin dies nicht akzeptiert, wie erklärt sie dann die Weitergabe dieses Lernens an die Folgegeneration, den Keim? Lamarck? Ein kleines Briefchen?
Im folgenden fällt Frau Koechlin auf, dass der Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren (und ergo den Menschen) nicht so gross ist, wie sie immer glaubte, was ja nun niemand verwundert. Aber dennoch ist dies kein Beweis für die Bewusstseinshypothese. Schön dies hin und her:
Und sie können in den Zellen – genauer den Zellmembranen – Tausende von Signalen verrechnen. Dort passiert Veränderung. Mit einer Metapher könnte man sagen, dass die Zellmembranen das Gehirn der Pflanzen sind.
ZEIT: Mehr als eine Metapher ist es aber auch nicht – ähnlich wie Ihre Beschreibungen, dass sich eine Pflanze wehrt oder die Nachbarn warnt.
Koechlin: Mich fasziniert gerade unsere Sprachlosigkeit angesichts der neuen Erkenntnisse. Auch Lernen oder Intelligenz sind ja bloß Hilfsbegriffe.
Mit anderen Worten: Pflanzen haben kein Hirn, also wird die Zellmembran dazu erkoren. Aber die Membran der Pflanze ist nicht anders als die anderer, man könnte also jeden Vielzeller zum Denker erheben. Nicht mehr als eine Metapher, in der Tat. Die von Frau Koechlin behauptete Sprachlosigkeit allerdings existiert nicht. Es ist zutreffend, das eine Pflanze "warnt" oder sich "wehrt", kein Problem damit, dies tut sie wirklich. Aber die ZEIT warnt richtigerweise davor, diese Analogien zu überdehnen. Warnung und Abwehr macht noch kein Bewusstsein. Es herrscht hier keine Sprachlosigkeit, es ist nur so, dass die Sprache von Frau Koechlin falsch ist und sie in bester postmoderner Tradition die Möglichkeit einer richtigen Benennung ablehnt.
ZEIT: Oder der Satz »Ein Baum hat eine individuelle Ausstrahlung.« Er steht in Ihrem Buch Zellgeflüster als Indiz für Würde. Das ist doch hochgradig subjektiv.
Koechlin: Der Anthropozentrismus ist in der Biologie natürlich besonders verschrien. Aber es bleibt uns doch gar keine andere Möglichkeit, als von uns selbst ausgehend zu beschreiben. Und wenn ich am Forschungsinstitut für biologischen Landbau rede,
, dann sagt ... dort der Weinbauexperte..., dass jeder Rebstock eine andere Geschichte hat als sein Nachbar. Eine Individualität.
Kurz gesagt: Anthropozentrismus ist zwar verschrien (aus gutem Grund, denn sonst filtert man alle Erkenntnis durch eine dicke Brille), aber ich machs trotzdem. Zum Teufel mit dem Bemühen um Objektivität und Wissenschaft. Wenn man diesen Weg der Nichterkenntnis allerdings weitergeht, dann sind auch Steine individuell, womit diese Beobachtung trivial ist.
Die weitere Diskussion drht sich um das eigentliche Thema, die Würde der Pflanze, so vertritt Frau Koechlin die These, dass man alles abtrennen darf, was von selbst nachwächst, also dem natürlichen Leben der Pflanze entspricht. OK, aber was ist mit Schmerz? Pflanzen empfinden ein Schmerzäquivalent, so dass man eigentlich Betäubung anwenden sollte. Aber es dreht sich auch hier um Frage nach Bewusstsein, sicherlich kann man auch bei Hefe diese Signalwege nachweisen und spätestens hier verbietet das deutsche Reinheitsgebot für Bier jeden Eingriff.
Frau Koechlin äussert dann noch einen Standard:
Aber dass man mit ihnen reden, ihnen zuhören kann, sagen bisher nur Schamanen –
die ja oft ein ungeheures Wissen über Pflanzen haben. In unserem Wissenschaftssystem dagegen habe ich bisher keinen Beleg dafür gefunden, dass ihnen Ansprache gut tut.
Zwei Anmerkungen: Ich möchte endlich mal einen Beleg, das Schamanen wirklich dieses ungeheure Wissen haben, dass ihnen angedichtet wird. Ich gehe jede Wette ein, das dieses Wissen nicht über Pflanzzeiten, Blühdauern und gewisse Anwendungen herausgeht, mithin also nur einen Bruchteil dessen darstellt, was ein wirklicher Spezialist oder Hobbygärtner weiss. Im übrigen gilt jegliches religiöse/rituelle Buhei nicht als Wissen. Und ich widerspreche auch ganz klar der Unterscheidung zwischen den Wissenschaftssystemen: Es gibt eine Möglichkeit, herauszufinden, ob etwas so ist, wie man glaubt: Indem man die wissenschaftliche Methode anwendet. Es ist klar, dass man aus ideologischen/religiösen Motiven oft diesen Weg nicht beschreiten will, damit aber verzichtet man auf Wissen und hat nur den Glauben. Wenn man in unserem Wissenschaftssystem keinen Beleg findet, dann ist das auch nicht so. Der gegenteilige Beweis steht dann aus und Anekdoten zählen nun mal nicht, auch wenn sie der Schamane erzählt. Dann könnte man ja auch an den Weihnachtsmann glauben. Oder daran, dass die Rente sicher ist.