Dienstag, 26. Juli 2005

Die Presse - langsam zweifele ich an dieser Zeitung

Die Zeitung "Die Presse", die ich abonniert habe, beginnt mir langsam, aber sicher auf die Nerven zu gehen.
Die Abwesenheit eines gescheiten Wissenschaftsteils habe ich ja verschmerzen können, mein neuer Job hat den Vorteil, Nature und Science zuhause lesen zu können und so habe ich eh mehr Neuigkeiten, als ich verdauen kann. Das ändert natürlich nichts daran, dass die Mehrheit, die nicht diese Möglichkeit hat, im Stich gelassen wird, wenn gerade mal ein Artikel oder eine halbe Seite diesem Thema gewidmet wird. In Anbetracht der extremen Bedeutung für unser Leben und die weitreichenden Entscheidungen, die nur mit einer gewissen Bildung in Sachen Wissenschaft getroffen werden können, sollte m.E. dieser Teil mindestens einen ganzen Bund darstellen, aber nun ja. Weihnachten ist vorbei.
Das Problem ist ein anderes. Im Zuge der aktuellen Schönborn-Debatte habe ich bemerkt, dass DIE PRESSE ein wenig unterbesetzt ist im Wissenschaftsressort, denn wie anders ist es zu erklären, dass ein deutlicher Teil an Artikeln und Leserbriefen veröffentlicht wurde, die die Evolutionstheorie ablehnen, obwohl die Autoren ganz klar keinen blassen Schimmer von der Theorie haben? Anfangs ist das noch leicht amüsant, aber mit der Zeit nervt das extrem, wenn man ständig völligen Unsinn lesen muss, eine Übersicht:

vom 18.07.2005
"Kritischer Vorstoß Schönborns zu begrüßen"
Der arrogante und totalitäre Anspruch darwinistischer Evolutionstheorie behauptet die "Zufälligkeit" des Entstehens der Schöpfung als allein wissenschaftlich. Das ist letztlich atheistische Ideologie, in pseudo-wissenschaftlichem Gewand.
Univ.-Prof. Dr. Heinz Keinert

Nett, nicht wahr? Ich sehe leider keinen arroganten und totalitären Anspruch der EvT. Vielleicht sollte Herr Keinert aber gleich auch den arroganten Anspruch der Quantentheorie angreifen, die Natur der Materie zu erklären, aber vielleicht ist es von einem Juristen zu viel verlangt, neben Jus, Biologie auch noch ein Grundwissen der Physik zu erwerben. Ich habe allerdings auch meine Zweifel, was das Grundwissen über Biologie angeht. Die EvT ist de facto die einzige umfasssende Theorie über die Entstehung der Arten, die zur Verfügung steht. Nicht die Entstehung der Welt, nicht die Entstehung des Lebens oder gar der Schöpfung. Was soll der Unsinn?
Das Thema der "Zufälligkeit" findet sich auch noch anderswo:

25.07.2005
"Ebenso wenig übrigens erklärt sich das so gerne verwendete Wort "zufällig" von selbst, denn der empirische Zufallsbegriff ist ja wohl noch keine Erklärung des Zufalls selbst. Man hätte doch erwarten dürfen, dass uns die Naturwissenschaft die Nachweise für die absolute Planlosigkeit und den mit Sicherheit ungelenkten Zufall bringen wird. "
Mag. Elmar Wiesmann

Zufall erklären? Huh? Natürlich kann man für alle "zufälligen" Vorgänge eine Erklärung finden, warum z.B. eine Münze dieses Mal auf Kopf fiel (man muss nur die Anfangsparameter kennen) oder warum die Person Hautkrebs hat und jene nicht (Person A hat eben das Pech gehabt, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort war und sich eine Überdosis Photonen eingefangen hat). Zufall heisst nichts anderes, als das das betrachtete System zu komplex ist, als dass man für alle Fälle alle Parameter kennen könnte (Und man braucht nicht mal Heisenberg zu bemühen, die kinetische Gastheorie funktioniert prima, ohne alle Partikel einzeln zu betrachten). Genauso ist es Zufall, welche Mutationen auftreten, aber kein Zufall, welche überleben. Jedenfalls nicht im statistischen Mittel.
Übrigens findet sich hier auch der alte Fehler: Nicht die Wissenschaft ist verpflichtet, den Nachweis der absoluten Zufälligkeit zu erbringen. Dies ist erstens nicht möglich und zweitens: Alle Daten, die jetzt immerhin schon 150 Jahre lang erhoben wurden, lassen keinerlei Plan erkennen. Die Aussage, Mutationen erfolgen zufällig, passt also am besten zu den Fakten. Wenn das Herrn Wiesmann nicht passt, bitte schön. Wo sind seine Gegenbeweise? Die Beweispflicht liegt beim Herausforderer! Schliesslich will Herr Wiessmann, dass man seine Aussage akzeptiert, dass hinter dem Zufall ein Plan steht. Gut, aber wieso sollte man, nur weil er das so wünscht? Wohl kaum.

Ein weiteres Glanzstück, vom 18.07.2005:
"Man soll den Neodarwinisten ruhig die Frage stellen, wie allein das Phänomen der Vielfalt in der Natur zu erklären ist. Oder wie aus einfachen proorganischen Molekülen wie Wasser, Methan, Kohlendioxid, Ammoniak und einfachsten Aminosäuren, die möglicherweise von Kometen auf die Erde transportiert wurden, komplexe, selbstreproduzierende Lebensformen in dieser Vielfalt entstehen. "
Mag. Harald Matz

Präorganische Moleküle wohl eher, aber nun. Noch einmal langsam: Die EvT beschäftigt sich nicht mit der Entstehung des Lebens. Wieso druckt also die Presse solch einen sachfremden Unsinn? Entweder die verantwortlichen Redakteure verfolgen ihre eigenen sinistren Pläne, oder aber: "Man soll kein Komplott vermuten, wo einfache menschliche Dummheit zur Erklärung ausreicht."

Ein leicht anderer Aspekt hier:
21.07.2005
"Die Heftigkeit der Debatte um Kardinal Schönborns Aussagen zeigt, dass es sinnvoll war, das Thema in Diskussion zu bringen. Die vielfach abschätzigen Reaktionen zeigen aber auch, dass heute zahlreiche Intellektuelle einer gläubigen Weltdeutung höchst fremd gegenüber stehen. "
Frater Martin Leitgöb

oder hier:
13.07.2005
"Schöpfung/Evolution geschieht nicht planlos, sondern hat ein Ziel: Das wird ein Kardinal doch wohl sagen dürfen. Wogegen er aufgetreten ist, ist eine vorgeblich "wissenschaftsgläubige" Ideologie, die versucht, Gott überflüssig zu machen und dabei ihre fachlichen Kompetenzen überschreitet. Nicht die Evolution als solche wurde in Zweifel gezogen, sondern die gewagte Schlussfolgerung, dass hinter dem Konzept der Evolution kein tieferer Sinn stehe. "
Dr. Gregor Jansen

Der Herr Frater und der Herr Doktor unterliegen einem Irrtum: Es gibt keine "wissenschaftsgläubige" Ideologie, die versucht Gott überflüssig zu machen. Man zeige mir bitte einen Wissenschaftler, der dieses Argument bemüht. Einen. Bitte. Dieser Vorwurf ist so ermüdend. Ein Zitat, wo jemand schreibt, die EvT ist korrekt, also gibt es keinen Gott. Oder: Dieser Sturm rührt von den Temperaturunterschieden über dem Atlantik, also gibt es keinen Gott.
Aber mein Wunsch wird wohl unerfüllt werden, denn: Die Wissenschaft trifft keine Aussage über die Existenz Gottes. Ich glaube eher, dass 99.95% aller Wissenschaftler keinen Deut darum geben, ob Gott existiert oder nicht, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Es ist doch eher so, dass die EvT nur für Religiöse die Nichtexistenz Gottes beweist, also sind diejenigen, die so laut gegen die Wissenschaft protestieren, diejenigen ohne Glauben.

Und zum Abschluss: Wogegen haben eigentlich die Wissenschaftler protestiert? Gegen einen Theologen, der ihnen ideologische Verbohrtheit, Ignoranz und Dummheit unterstellt hat, weil sie eine robuste, nützliche und die Natur richtig wiedergebende Theorie nicht aufgeben wollen, bloss weil er das möchte. Ohne Belege, ohne Fakten. Einfach so. Warum sollten sie denn?
Sie haben nicht protestiert, weil jemand Kritik geübt hat. Sondern weil es unsubstantielle Kritik war.
Sie haben nicht protestiert, weil ihr Dogma angegriffen wurde. Sondern weil sie das Bemühen um Erkenntnis gegen Dogma eintauschen sollen.
Sie haben nicht protestiert, weil jemand unangenehme Fragen gestellt hat. Sondern weil jemand aus der Luft gegriffene Anwürfe verbreitet hat.
Sie haben nicht protestiert, weil Schönborn sie bei dem Versuch ertappt hat, in seinem Revier zu wildern. Sondern weil Schönborn seine Kompetenz weit überschritten hat.

Der Kardinal soll sich um seine Seelen kümmern, die Wissenschaft kümmert sich um das Leben.
Mehr demnächst zu der Werbung für Quacksalber und die Sintflut als Erklärung für Atlantis in DIE PRESSE.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Werter Herr "bcpmoon"!

Es ist mit Sicherheit eine lobenswerte Angewohnheit, die Fachblätter Nature und Science zu Hause zu lesen; schon weniger lobenswert erscheint mir allerdings die Geisteshaltung zu glauben, man könnte nach dieser Lektüre ein Stückchen "absolutes" Wissen für sich beanspruchen und aus dieser Position heraus dann andere Meinungen und Standpunkte aburteilen.

Keinesfalls möchte ich mich auf eine erneute Diskussion hinsichtlich Evolutionisten contra Kreationisten einlassen - ich möchte vielmehr auf einige Aspekte der wissenschaftlichen Diskussionskultur verweisen. Nach Lektüre Ihres online "Profiles" hier erfährt man, Sie seien 37 Jahre alt, männlich, Sternzeichen Krebs, chinesisches Sternzeichen Hund. Nun, auf die beiden letztgenannten Informationsinhalte könnte ich von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen auch gut verzichten. Trotz dieser spärlichen Eigendarstellung scheuen Sie nicht davor zurück, Wortmeldungen anderer, die Sie auch mit vollem Namen nennen, in etwas - wie mir scheinen will - nonchalant-modernem Ton abzuqualifizieren.

Dabei vermisse ich ein eigenes Statement von Ihnen, das etwas mehr Erklärungswert besitzt, als den Darwinismus zwischen den Zeilen gelesen zum unumstürzlichen Dogma zu erklären.

Die Gründe für Ihren doch sehr modernen, journalistisch-griffigen Schreibstil werden Sie wohl besser kennen als ich - Journalismus jedoch ist nicht unbedingt synonym zu Wissenschaftlichkeit, wie Sie die Lektüre von Science und Nature wohl täglich lehren wird.

Der designierte musikalische Direktor der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst wies vor einiger Zeit auf den durchaus existenten Unterschied zwischen Lifestile und Kultur hin - viele Leute besäßen heutzutage gerade einmal ein wenig Verständnis für "Lifestile" und hielten dies dann schon für große Kultur.

Wissenschaft, werter Herr bcpmoon, ist es, andere Meinungen und Informationsinhalte anzuhören und aufzunehmen, zu überdenken und dann für sich - nach Abwägung von Faktenlage und Wahrscheinlichkeit - in das eigene Gedankengebäude zu integrieren. Dogmen haben die Welt noch selten bereichert, geschweige denn weitergebracht.

Mit bestem Gruß,

Mag. rer. nat. Matthias Svojtka